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Das Glück des Absichtslosen –
Michael Rotts Reisen auf Papier

Eines der schönsten und dankbarsten Materialien, die dem bildenden Künstler zur Verfügung stehen, ist Papier. Es ist handlich, in den vielfältigsten Abstufungen und Gradationen zu haben, von der glatten satinierten Fläche bis zum genarbten, strukturierten Grund, es ist einfach zu besorgen und bedarf keiner Zurichtung. Papier löst beim zur Tat schreitenden Künstler nicht die Hemmungen aus, die er vor einer Leinwand, einem Stein- oder Holzblock oder ganz allgemein gegenüber dem großen Format empfinden mag. Papier macht es dem Maler und Zeichner in vielerlei Hinsicht leicht.

Diese Leichtigkeit befördert das freie Mäandern, das Michael Rott bei seinen Reisen auf Papier bevorzugt. Sein Betreten der Oberfläche mit Stift und Pinsel bedarf keiner vorherigen Planung, da muss nichts überlegt und organisiert werden. Nur den richtigen Moment muss er abpassen, das natürlich schon, den Augenblick, der ihm zuraunt, er könne sich nun wieder auf den Weg machen.

Meist weiß Michael Rott zu Beginn nicht, wohin ihn sein Weg führen wird, er verfolgt keine vorher festgelegte Aufgabe, die es zu erfüllen gälte. Auch eine inhaltliche Aussage, die sich beim Betrachter einstellen mag, ist nichts, was der Künstler bewusst anstrebt. Solche Absichtslosigkeit kommt seinen Blättern zugute, sie ist nicht etwa ein Mangel, sondern ein Gewinn, indem sie uns zeigt, dass es Dinge gibt, die nicht erklärt werden müssen. Dinge, deren Berechtigung in ihrem bloßen Dasein liegt und die zu keinem Zweck, mit keiner erklärten Absicht oder im Hinblick auf einen wie auch immer gearteten Mehrwert entstehen. Der kann und darf sich später einstellen, aber er muss eben nicht intendiert sein.

Das Ergebnis dieser offenen Herangehensweise ist Glück und Freude, beim Schaffenden wie beim Betrachter, der sich auf die Reise mitgenommen fühlt, ohne belehrt worden zu sein. Michael Rott ist damit ganz bei sich, denn er ist keiner, der mit Gewalt auf ein vorherbestimmtes Ziel zuläuft und sich dazu das Papier untertan machen müsste. Im doppelten Wortsinn lässt er es laufen, das Einfühlungsver mögen in die Hand und Stift und Pinsel über das Papier, und reagiert auf das, was passiert, ändert mitunter seine Wege, beißt sich vielleicht in Sackgassen fest, gibt aber auch wieder nach und überlässt sich dem Vertrauen in das Zusammenspiel von Intuition und Material.

Seine Bildwelt ist dadurch meist abstrakt, aber Michael Rott gibt auch dem Figürlichen Raum, wenn es Einlass begehren sollte. Dann nimmt es gerne den Charakter eines Zeichens an, das sich ins Bild schleicht und den Schöpfer selbst überraschen mag, indem es Impulse gibt, die jenseits der Worte liegen.

In seinen Bildern bevorzugt er die Kombination von malerischen und zeichnerischen Ausdrucksmitteln, die in einem dialogischen, weitgehend gleichberechtigten Miteinander die Bildflächen beleben. Er arbeitet mit Farbstiften, Blei- und Tuschestiften sowie Wasserfarben. Dabei schöpft er alle Möglichkeiten der Gestaltung aus, vom sparsam reduzierten Blatt bis zur hochverdichteten Komposition. Feine tastende Fäden treffen auf umher schwimmende Flecken, selbstbewußte Farbkörper kontrastieren eher zaghaft anmutende Strichbündel, umherschweifende Lineaturen suchen sich einen Weg im Wechselspiel von flächigen Hindernissen und offenen Räumen. All dem schauen wir zu wie dem Tänzeln der Kleinstlebewesen beim Blick durch ein Mikroskop. Und wie dort ergeben sich in Michael Rotts Blättern bisweilen unerwartete Tiefenräume, hervorgerufen durch lasierende Schichtungen der Wasserfarbe. Ein Davor und Dahinter entsteht, ungeplant, aber die kindliche Freude am Umherschweifen nicht mindernd, sondern eher befördernd, ein Staunen, das sich ganz dem Moment hingibt, der die Zumutungen einer durchrationalisierten Welt aufhebt.

Michael Rotts Zeichnen und Malen mündet fast immer in eine ausgeprägte Bildharmonie. Scharfe Dissonanzen sind seine Sache nicht, und aus dem Gleichgewicht geratende Kompositionen werden wir bei ihm nahezu vergeblich suchen. Wo zu viel Schwere lastet, wird er ein Gegengewicht installieren. Balance ist ihm ein Anliegen, und so bewegt er sich selber wie ein Tänzer auf dem Papier, um eine ausgewogene Choreographie aus Linien, Flächen, Strichen, Punkten und Farbflecken zu erschaffen.

Der Eindruck der Übermalungen ist naturgemäß etwas anders. Ausgangsmaterial war hier ein alter französisch-lateinischer Katechismus, dessen Schriftseiten den Künstler fasziniert hatten. Die Kompositionen, die auf den bedruckten Blättern entstanden sind, lassen zum einen den Untergrund mitsprechen. Manche aber sind so verdichtet, dass ihr ursprünglicher Anlass, die Schrift, nicht mehr zu identifizieren ist. Die Oberflächen sind Stück für Stück geschlossen, und diese Bilder bekommen dadurch einen stärker ornamentalen Charakter.

Insgesamt bieten die hier versammelten Bilder in ihrer gestalterischen Freiheit einen schönen Beweis für die Vorteile dessen, „was so passiert ist“, gegenüber dem Ambitionierten, das oft verhoben und schwer wirkt. Die spontanen Bewegungen des Gestaltungsprozesses sind in ihnen aufgehoben, sie bleiben als Spuren und ermöglichen es uns, ihnen im Betrachten nachzugehen.

Dies ist die Reise, von der zu Beginn die Rede war. Dass wir sie mit diesem Buch antreten und wiederholen können, ist eine Freude, die wir mit Michael Rott gerne teilen.

Martin Schmidt (2013)